Foto: Eidin Jalali bei der FAUST-Verleihung © Markus Nass/Deutscher Bühnenverein Text:Bettina Weber, am 5. Dezember 2022
Eidin Jalali erhielt am 26.11. den Deutschen Theaterpreis DER FAUST in der Kategorie „Darsteller:in Theater für junges Publikum“ für seine Rolle des A. in „Die Leiden des jungen Azzlack“ am Schauspiel Leipzig. Bei der Preisübergabe warf er der Theaterszene in Deutschland vor, nicht angemessen auf die aktuelle Krise im Iran zu reagieren; er forderte bei der Preisverleihung mit konkreten Aktionen zu beginnen. Wir haben bei dem 1992 in Teheran geborenen Schauspieler nachgefragt.
Eidin Jalali, bei der diesjährigen FAUST-Preisverleihung haben Sie die Bühne genutzt, um auf die Gewalt des iranischen Regimes gegen die aktuellen Proteste und auf die Femizide im Iran aufmerksam zu machen. Welche Reaktionen gab es daraufhin im Anschluss von den Anwesenden und bei der Berichterstattung?
Eidin Jalali: Es haben sich einige Menschen bei mir bedankt und beschrieben, dass ihnen bei solchen Veranstaltungen gerade in so turbulenten Zeiten oft genau diese Momente der Irritation fehlen. Andere teilten ihre Betroffenheit mit mir und stellten zugleich in Frage, ob Protestaktionen seitens der Theater überhaupt Sinn machen würden. Das sei doch nicht die Aufgabe des Theaters und dann müsse man ja bei jeder Krise und jedem Konflikt eine Aktion starten. Als wäre es eine Bürde sich zu politischen Themen und Ereignissen zu positionieren. Aber genau das verlange ich: Nicht nur zur Situation im Iran. Das Hauptprogramm der Theaterhäuser müsste angesichts der weltpolitischen Lage ausschließlich aus Stücken, Performances und Aktionen zu aktuellen Geschehnissen und Missständen bestehen, anstatt immer wieder irgendwelche Klassiker neu zu inszenieren, weil sie ja so zeitlos sind. Für sowas gibt es Museen. Oder auch neue Stücke, die vielleicht brisante Themen anreißen, aber so konfus und vermeintlich unkonventionell geschrieben und inszeniert sind, dass sich nach einer Vorstellung höchstens eine Handvoll Kunstwissenschaftler etwas daraus zusammenreimen können. Für sowas gibt es Vernissagen. Die Angst vor sinkenden Zuschauerzahlen lähmt die Theaterbranche und ist vor allem völlig unberechtigt. Man muss bloß aufhören, mit allen Mitteln diese im großen Kontext winzige Anzahl an treuen Theatergänger:innen festzuhalten und stattdessen den Fokus darauf legen, das Theater endlich für die ganze Stadtgesellschaft zugänglich zu machen. Öffentliche Aktionen und Performances könnten also neben ihrem ursprünglichen Zweck dazu genutzt werden, theaterfremde Menschen auf die Häuser aufmerksam zu machen und sie zu weiteren Veranstaltungen einzuladen. Die Verantwortlichen, die so etwas in die Wege leiten könnten, wollen davon aber scheinbar nichts wissen. Zumindest gab es von deren Seite bisher keinerlei Reaktionen auf meinen Aufruf. Das ist bedauernswert, wenn man bedenkt, dass allein in den letzten zwei Monaten mehr als 150 unserer Theaterkolleg:innen im Iran verhaftet wurden.
Sie sagten, dass es nicht bei bloßen Solidaritätsbekundungen bleiben dürfe, und haben die Anwesenden dazu aufgerufen, gemeinsame Aktionen zu organisieren. Ist der Protest auf der Straße derzeit die einzige Möglichkeit, Stellung zu beziehen?
Eidin Jalali: Ja. Zumindest die einzig sinnvolle. Gerade am Theater dienen Solidaritätsbekundungen aufgrund der minimalen Reichweite nur der Selbstprofilierung. Podiumsdiskussionen, Lesungen oder Liederabende mit Fokus auf den Iran sind zwar schön, weil sie zumindest die wenigen Menschen in unserer kleinen Blase informieren und im besten Fall ein Trost schenkender und empowernder Moment für Exil-Iraner:innen sein können. Den Menschen im Iran, die währenddessen auf der Straße ihr Leben riskieren oder in den Gefängnissen gefoltert werden, ist damit aber nicht geholfen.
Welche Möglichkeiten haben die Theater hierzulande aus Ihrer Sicht bei der Unterstützung der Menschen im Iran, welche gesellschaftliche und politische Reichweite in den Iran hinein?
Eidin Jalali: Die Theaterhäuser haben als Institutionen, die sich vor allem in den letzten Jahren nach außen hin als feministisch präsentieren, nicht nur die Möglichkeit, sondern die Verpflichtung, sich der Revolution in Iran und Kurdistan anzuschließen, indem sie die Straße zu ihrer Bühne machen. Es kann nicht sein, dass unser Feminismus bei Diskussionen über geschlechtsneutrale Kostüme aufhört und nicht über die Landesgrenzen hinausreicht. Das würde implizieren, dass es uns nur um unsere eigenen unmittelbaren Probleme und Interessen geht und nicht um die Sache an sich. Ein ähnlicher Vorwurf wurde bis vor kurzem noch Annalena Baerbock gemacht, die sich trotz ihrer Versprechen hinsichtlich einer feministischen und wertegeleiteten Außenpolitik ausgerechnet bei der von Frauen angeführten Iran Revolution lange zurückhielt. Die ersten Maßnahmen, die sie mittlerweile getroffen hat, verdanken wir dem unermüdlichen Einsatz von meist iranisch-deutschen Aktivistinnen und Journalistinnen, die durch ihre Arbeit auf das Thema aufmerksam gemacht und die Bundesregierung somit unter Druck gesetzt haben. Und genau diesen Effekt könnten auch die Theater hierzulande erreichen, wenn sie sich absprechen, von mir aus erstmal nur einen konkreten Tag festlegen und für diesen bei den Behörden Demonstrationen anmelden, ihr Publikum und darüber hinaus Menschen mobilisieren, in Zusammenarbeit aller Gewerke medienwirksame Gesangs-, Tanz-, Schauspielperformances und Redebeiträge auf die Beine stellen und damit deutschlandweit auf die Straße gehen. Das würde sowohl in den sozialen, als auch in den klassischen Medien immens hohe Wellen schlagen und nicht nur den Menschen im Iran signalisieren, dass sie gesehen werden, sondern eben auch die Bundesregierung weiter unter Druck setzen, damit diese zum Beispiel jegliche diplomatischen Beziehungen zur Islamischen Republik einfriert, die Botschafter:innen ausweist, gezielte Sanktionsmaßnahmen gegen die Machtelite des Iran trifft, die Atomverhandlungen aussetzt, die Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen durch UN- Organisationen im Sinne einer späteren juristischen Verurteilung fordert etc. (s. Petition von HÁWAR.help). Die Theaterschaffenden in Deutschland haben also durchaus die Möglichkeit, ihre iranischen Kolleg:innen und alle anderen Demonstrierenden in Iran und Kurdistan aktiv zu unterstützen. Sie müssen es nur wollen.